Odin ein Schamane ?

Manch einem Asatru mag es schon beim Lesen der Fragestellung Unbehagen auslösen.
Das Unbehagen mag verursacht sein von der (Fehl)Einschätzung:
"Schamanimus ist esoterisch (New Age) und erfährt zur Zeit einen enormen Boom, oder gehört bestenfalls in den Kulturkreis nordamerikanischer Indianer."

Zunächst  sollten wir einmal klären was ist "Schamanismus" ?

Der Schamane versteht sich als Mittler zwischen der "realen" Welt, und den geistigen Welten die er bereist, indem er sich in Trance versetzt.  In der geistigen Welt trifft er Geister, Götter und andere Wesen um Wissen zu erlangen und Heilung zu erwirken.
Um diese Trance zu erreichen sind vielfältige "Hilfsmittel" bekannt.
Rhythmisches Trommeln aber auch Rasseln, Tanzen sind heute die gängigsten und bekanntesten Methoden.
Genannt sollten aber auch der Verzicht von Nahrung (hungern oder fasten), die Einnahme von Drogen (moderne wie Heroin aber auch  seit jeher bekannte pflanzliche) und das Erleiden von physischen Schmerz.
Ein Nachdenken über Parallelen über die fest vorgeschriebenen Fastenzeiten in den grossen Monotheistischen Religionen bietet sich an, soll aber hier nicht weiter ausgeführt werden.

Schamanismus ist heute noch in weitgehend ursprünglicher Form in vielen Völkern bekannt z.B Indianer, in Sibirien, Tibet und vielen Naturvölkern praktiziert.
Und in Europa ?
Es gibt Hinweise insbesondere in steinzeitlichen Höhlenmalereien, dass auch hier vielleicht schon vor Urzeiten ähnliche Praktiken bekannt waren und auch praktiziert wurden. 

Gibt es Hinweise aus den alten nordischen Quellen ?

Von Erik dem Roten wird eine Wahrsagetechnik ausführlich beschrieben, die Seidh genannt wird.
Als in Grönland im 11. Jahrhundert eine grosse Hungersnot herrschte, beschloss der reichste Bauer Vorort die Völva oder Seidkona um Rat zu fragen.
"Sie war gekleidet in einen blauen Mantel, und dieser war bis zum Saum mit kostbaren Steinen besetzt. Als Halskette trug Sie Glasperlen, auf dem Kopf hat Sie eine Mütze aus schwarzem Lammfell, die innen mit weissen Katzenfell gefüttert war. In der Hand hielt Sie einen Stab mit Messingbeschlägen, der einen Knopf hatte und auf dem Knopf war ein Stein befestigt.
Um die Taille trug Sie einen Gürtel mit Zunderbüchse und einen Lederbeutel in dem Sie Ihre Zaubermittel aufbewahrte
Als Schuhwerk trug Sie haarige Schuhe aus Kalbsfell mit langen Riemen die am Ende Zinnknöpfe hatten.
Ebenfalls trug Sie Handschuhe aus Katzenfell, die innen weiss und haarig waren."
Als Vorbereitung auf  Ihre Aufgabe ass Sie mit einem Messinglöffel und einem Messer ohne Spitze die Herzen aller Tiere die vorhanden waren.
Tags darauf lies Sie Frauen suchen, die ein Zauberlied mit Namen Vardiokur singen konnten. Doch es wurde nur eine Frau gefunden die das Lied kannte, sie hatte es von Ihrer Pflegemutter auf Island gelernt. Da die Frau aber Christin war wollte Sie zunächst das Lied nicht singen, konnte aber vom Bauer überredet werden.
Frauen bildeten nun einen Kreis um die Völva, die erhöht sass, und die Christin sang das Lied. Die Völva lobte danach den Gesang und sagte die Geister hätten so grossen Gefallen an dem Lied gefunden
"Auch Geister, die sich früher von mir abgekehrt hatten und mir nicht mehr gehorchen wollten, sind erschienen. Und mir sind nun viele Dinge klar, die mir und vielen anderen verborgen blieben."
Sie sagte das Ende der Hungerzeit im kommenden Frühling voraus, und das die Christin Stammmutter eines angesehenen Geschlechts werden würde. Auch Fragen beantwortete Sie und alles traf ein wie vorhergesagt.

Auch in der Edda wird über Seidh berichtet. Es war eine Fertigkeit die dem Göttergeschlecht der Wanen bekannt war. Freya wird als Seidh kundige Göttin genannt. Nach Ende des Wanenkriegs lies Odin sich von Freya in dieser Kunst unterrichten.

Weiter wird von Snorri berichtet:
Von einigen Menschen, die Seidh betrieben, wurde berichtet, sie könnten sich in Tiere verwandeln. "Odin war in einer Kunst erfahren, die grösste Macht verlieh und man nennt Sie Zauberkunst ( Seid ). Sie befähigte Ihn das Schicksal der Menschen und noch nicht eingetretene Ereignisse vorauszusagen, auch der Menschen Tod, Unheil und Krankheit zu bescheren. Auch vermochte er durch sie jemandem seinen Verstand zu rauben und diesen einen anderen zu verleihen, Aber Snorri berichtet auch: Derart geübte Zauberei ist mit soviel Ärgernis verbunden, dass die Männer sich schämten sie zu betreiben, und man lehrte sie den Priesterinnen.


und weiter in der Yngling Saga:
Odin konnte seine Gestalt verändern
Sein Körper ruhte wie im Schlaf oder Tod
Doch wurde er zu einem Vogel oder Schlange
Um augenblicklich in andere Länder/Welten zu reisen
Im eigenen Interesse oder anderer Leute

Leider reichen alle Quellen über Seidh nicht aus um diese Technik hinreichend rekonstruieren zu können. Aus diesem Grund orientieren sich die mir bekannten Rekonstruktionsversuche an schamanischen Techniken.

Aber weitere Indizien sind:
Sein Pferd Sleipnir hat 8 Beine, wie die Vorstellung eines Schamanenpferdes von Sibirischen oder japanischen Schamanen.
Yggdrasil der Name der Weltenesche die die Welten miteinander verbindet, kann übersetzt werden als Odins Pferd, da Ygg ein Name Odins ist und Drasil das Pferd.
In diesem Verständnis ist das Pferd das Reisemittel, um zwischen den Welten zu reisen.
Und nicht zuletzt hing sich Odin an den Weltenbaum, hungerte und fügte sich Schmerzen zu ( um in Trance zu gelangen oder diese zu verstärken ?) , und erlangte so die Kenntnis über die Runen.
Auch aus schamanischer Sicht ist das Hängen am Baum nicht unbekannt, sondern gilt  als Initiationsritus für Schamanen in manchen Kulturen.

Mancherlei Hinweisen könnte noch nachgegangen werden, wie Odin Entwicklung vom Sturmgott zum Göttervater, der Opferung seines Auges für einen Schluck aus Mirmirs Brunnen oder die  Beschwörung und Befragung von Toten.
Abschliessend ergeben sich aus meiner Sicht erstaunliche Parallelen, die eine Diskussion darüber durchaus rechtfertigen.



Made with ♥ by homepage.eu